Unsterblich

Dieser schwebende Zustand war einfach zu wunderbar. Oben am Himmel über allem Anderen, sich einfach nur leicht und schwerelos fühlen …

Wenn er sich fallen lassen würde, gäbe es kein besonderes Himmelsleuchten mehr, kein geheimnisvolles Pulsieren und Wabern, keine funkelnden Punkte am Firmament, keine Menschen, die „Aaah!“ und „Ooh!“ riefen.

Er wäre einfach nur ein lebloses Materieteilchen, verdonnert zu ewigem Kreislauf, denn alles, was hinabstürzte, war recycelbar. Eine All-Müllkippe, auf der Kometenstaub und Meteoriten, Feenglitzer, Sternenschweife, Funkengewitter, Ewigsand, Elfenperlen und alle anderen mysteriösen und wundersamen Erscheinungen des Kosmos landeten und immer wieder dem unaufhörlichen Kreislauf zugeführt wurden. Er wollte keine wiederverwertbare Materie sein, er war einzigartig.

Wie konnte so etwas Reines und Unschuldiges wie er zu so etwas Profanem verurteilt sein?

Nein, seine Bestimmung, sein Schicksal war eine andere Art der Unsterblichkeit.

Er würde dieser Erde unbeschreibliches Glück bringen. Alle würden sich an ihn erinnern. Er wäre auf ewig in das kollektive Gedächtnis eingebrannt.

Sie würden über die Diamantengoldbrücke gehen – ach was, rennen! -, nur um bei ihm sein zu dürfen.

Und er würde sie mit ausgebreiteten Armen empfangen, und alle würden nur ihm huldigen!

„Hallo, können Sie mich hören? Hallo!“

Unwillig nahm er die Stimme wahr, die so hartnäckig auf ihn eindrang. Was sollte das? Wer wagte es, ihn, den Unsterblichen, anzusprechen? Hatte dieses Wesen keinen Respekt vor ihm?

Wieder hörte er die Stimme, und diesmal unterbrach sie seinen schwebenden Zustand abrupt.

„Na geht’s wieder? Ich hatte schon die Befürchtung, dass Ihre grauen Zellen leichten Schaden genommen haben. Sie haben nämlich die ganze Zeit irgendwas davon gefaselt, dass Sie der große Unsterbliche sind, zu dem alle aufsehen. Da war ihr Geist wohl einen Moment ausgereist, so wie es aussieht. Aber machen Sie sich nichts draus, das geht vielen so, denen ein Blumentopf auf den Kopf fällt.“


Das war mein Beitrag zur https://365tageasatzaday.wordpress.com/2019/11/03/schreibeinladung-fuer-die-textwochen-45-46-19-wortspende-von-meine-literarische-visitenkarte/

Die Wortspende – Himmelsleuchten, recycelbar, ausreisen – stammt von Anna-Lena mit ihrem Blog „Meine-literarische-visitenkarte“ .

5 Kommentare

  1. *loslach* Und ich dachte Wunder-wer-weiß-was, was das wäre … und dann entpuppt sich des Rätsels Lösung nur als schnöder Blumentopf! Na, ich weiß nicht so recht, wie er mit dieser Wahrheit klarkommen soll … 😉
    Vielen Dank, hast mich echt verblüfft.
    Liebe Grüße
    Christiane 😀

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